Was “Pornosucht” mit Moral zu tun hat

Wie ich hier schon beschrieben habe, gibt es eine intensive Kontroverse darüber, ob übermäßiger – oder sagen wir besser: intensiver – Pornokonsum krankheitswertig ist und ob er als Sucht beschrieben werden kann. Nun gibt es unzweifelhaft Menschen, die ihren Pornokonsum als problematisch wahrnehmen, und das wird auch in der Forschung so beschrieben. Doch was, wenn diese Menschen ihren Pornokonsum nicht deswegen problematisch finden, weil sie süchtig geworden sind und einfach nicht mehr damit aufhören können (obwohl sie gerne würden) sondern auch weil sie es im Grunde moralisch verurteilenswert finden, was sie da tun: vielleicht haben sie das Gefühl, damit ihre Partner*innen zu betrügen oder finden es nicht gut, wenn sie durch ihren Konsum dazu beitragen, dass Menschen in der Pornoindustrie arbeiten (müssen)?

Der amerikanische Psychologe Joshua Grubbs und seine Kolleg*innen scheinen in einer kürzlich im Journal “Addiction” veröffentlichten Arbeit genau das herausgefunden zu haben (bzw. sagen wir es korrekter: Unterstützung für diese Hypothese gefunden zu haben). Befragt haben sie 1507 Studierende dreier amerikanischer Universitäten und 782 Erwachsene, und zwar zweimal im Abstand von einem Jahr. Erhoben haben sie dabei den durchschnittlichen täglichen Pornographiekonsum, verschiedene psychologische Maße wir Neurotizismus und Selbstkontrolle, Religiosität, moralische Eistellungen gegenüber Pornographie und die selbst wahrgenommene Abhängigkeit von Pornographie. Für letzteres haben sie eine Skala verwendet, die Aussagen enthielt wie: “Selbst wenn ich keine Pornos schauen will, fühle ich mich dazu hingezogen” , ich fühle mich deprimiert, nachdem ich Pornos geschaut habe” und ” ich habe wichtige Prioritäten aufgeschoben, um Pornos zu schauen”.

Analysiert haben die Autor/inn/en nun zwei Dinge: wie die verschiedenen Variablen beim zum ersten Zeitpunkt miteinander korrelieren (also wie sie zusammenhängen) und inwiefern sich die selbst wahrgenommene Abhängigkeit von Pornographie in Jahr 2 durch die in Jahr 1 erfragten Variablen vorhersagen lassen (dazu gleich mehr). In der ersten Analyse haben sie herausgefunden, dass es einen statistisch bedeutsamen Zusammenhang gibt zwischen der selbst wahrgenommenen Abhängigkeit und dem täglichen Konsum aber auch zwischen wahrgenommener Abhängigkeit und moralischer Verurteilung von Pornographie – und zwar unabhängig vom tatsächlichen Konsum. Das heißt: selbst wenn zwei Leute ganz genau gleich viel oder wenig Pornos schauen, wird sich im Mittel der oder die deutlich abhängiger fühlen (z.B. das Gefühl haben, wichtige Prioritäten dadurch vernachlässigt zu haben) , der/die Pornographiekonsum für moralisch verwerflich hält. Wenn man nun die wahrgenommene Abhängigkeit zum Zeitpunkt 2 durch die Variablen von vor einem Jahr vorhersagen, dann stellt sich heraus, dass der tatsächliche Pornokonsum gar keinen bedeutsamen Einfluss mehr hat, sondern nur noch die moralische Einstellung gegenüber Pornographie.

Grubbs und Kollegen ziehen daraus den Schluss , dass, die Wahrnehmung, selbst von Pornographie abhängig zu sein, meist keine akkurate Selbstbeschreibung darstelle, sondern stark von der eigenen moralischen Beurteilung von Pornographie abhänge. Das hat nun Konsequenzen für die Beurteilung der Krankheitswertigkeit oder des Suchtcharakters von intensivem Pornographiekonsum:  Die Tatsache, dass es einer Person mit etwas schlecht geht, dass sie einen Leidensdruck verspürt, ist ein zentrales Kriterium für eine psychische Störung. Damit soll verhindert werden, dass Menschen andere Menschen als psychisch gestört abstempeln, nur weil ihnen deren Verhalten nicht gefällt. Kommt dieser Leidensdruck aber nicht aus dem entsprechenden Verhalten selbst, sondern aus der eigenen moralischen Beurteilung, so ist nach Grubbs et al. schon zu fragen, ob das Verhalten das Problem ist oder die entsprechenden moralischen Standards. Dann wäre statt der Frage, ob Pornos süchtig und krank machen, zunächst einmal zu diskutieren, wie wir Pornographiekonsum eigentlich moralisch bewerten.

Zum Schluss noch ein interessanter Nebenbefund der Studie: über 40 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die zum Zeitpunkt 1 noch Pornos geschaut hatten, gaben zum Zeitpunkt 2 an, es sei 6 Monaten nicht mehr getan zu haben (und wurden somit für die Längsschnittanalyse nicht mehr herangezogen). Ohne Vergleichszahlen zu kennen: ich finde das sind ziemlich viel! Hat hier etwa das Ausfüllen des Fragebogens schon therapeutisch (oder eben auch moralisch) gewirkt? Hat er dazu angeregt, den eigenen Pornographiekonsum kritisch zu reflektieren ? Oder wollten diese Personen einfach nicht zugeben, noch immer Pornos zu schauen? Leider erfahren wir dazu von den Autor/inn/en nichts, aber vielleicht finde ich ja noch etwas heraus.

 

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