Subspace – oder die Wissenschaft vom Fliegen

Letzte Woche habe ich beschrieben, welche Gründe es dafür geben kann, dass Menschen Gefallen an BDSM-Praktiken finden. Eine dieser Erklärungen geht davon aus, dass Menschen mit masochistischen oder devoten Neigungen, wenn sie Schmerz “erleiden” oder in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden (physisch durch Seile, Ketten, Handschellen oder psychisch durch Befehle) in einen tranceähnlichen Zustand geraten, der in der Szene Subspace, Rope-High (beim Fesseln) oder einfach Fliegen genannt wird.

Subspace in Seilen – Foto: Sandra Rabl

Innerhalb der Szene scheint es, wie man an diversen Forendiskussionen sieht, einen lebhaften Austausch darüber zu geben, was hier genau passiert. Handelt es sich um einen veränderten Bewusstseinszustand vergleichbar dem der Hypnose oder Trance? Spielen Hormonausschüttungen eine Rolle? Werden durch den Schmerz Endorphine ausgeschüttet, die wiederum ein Hochgefühl auslösen? Aber warum funktioniert das dann auch ohne Schmerz? Führen etwa verschiedene Praktiken zu unterschiedlichen Subspace-Formen?

Besonders gut erforscht ist dieses Feld noch nicht, aber ich habe immerhin drei Studien gefunden die sich mit den physischen (und psychischen) Wirkungen von BDSM-Praktiken auseinandersetzen und die kommen alle zu dem Schluss, dass Cortisol (ein “Stresshormon”)  hier eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Aber nicht nur…

In einer Studie  mit insgesamt 58 Menschen, die BDSM praktiziert haben, fand der amerikanische Sozialpsychologe Brad Sagarin mit Kolleg*innen bei Menschen, die die passive (devote, masochistische) Rolle eingenommen hatten, erhöhte Cortisolwerte im Speichel und wenn es sich dabei um Frauen handelte ebenfalls erhöhte Testosteronwerte (!) (macht Sub sein also eigentlich “männlicher”???). Beide Partner*innen zeigten darüber hinaus im Anschluss in der Regel eine stärkere emotionale Bindung zu ihren (Spiel-)Partner*innen, vor allem, wenn sie die Begegnung als geglückt empfanden.

Die selbe Autor*innengruppe in etwas anderer Zusammensetzung hat sich in einer weiteren Studie einem ganz speziellen BDSM-Ritual gewidmet, dem sogenannten “Dance of Souls“, bei dem die TeilnehmerInnen unter anderem temporäre Piercings erhalten, an den Haken oder Gewichte befestigt werden. Außerdem wird bei diesem Event getrommelt und getanzt. Auch hier zeigten die Personen, die sich Schmerzen ausgesetzt hatten, sich also hatten piercen lassen, erhöhte Cortisolwerte. Darüber hinaus zeigte sich aber bei beiden Gruppen, sowohl den Personen, die gepierct wurden, als auch bei den Piercern, Trommlern und den Personen, die durch das Ritual geführt haben, Anzeichen für Flow und einem Trance- Zustand, der “transient Hypofrontality” genannt wird (hier ein aufschlussreiches Video dazu, hier habe ich schon darüber geschrieben).  Es scheinen hier also sowohl aktive als auch “passive” Teilnehmer*innen so etwas wie Subspace zu erleben, wobei natürlich nicht klar ist, ob das durch das Piercing-Ritual oder den rituellen Tanz ausgelöst wurde.

Die dritte Studie zu Bewusstseinsveränderungen im BDSM-Kontext, die ich gefunden habe (wieder von der selben Forscher*innengruppe an der Illinois State University), beschäftigt sich explizit mit BDSM-Praktiken im engeren Sinne (ohne Trommeln und Tanzen)  und räumt dazu noch eine mögliche Alternativerklärung aus: dass nicht die Praktiken zu spezifischen veränderten Bewusstseinszuständen führen, sondern dass Personen, die zu bestimmten Bewusstseinsveränderungen neigen, gerne bestimmte Rollen einnehmen. Dafür rekrutierten sie sieben Paare bestehend aus Switchern (also Personen, die sowohl die aktive als auch die passive Rolle mögen) , und ließen jeweils den Zufall entscheiden, wer die aktive und wer die passive Rolle einnehmen sollte. Damit wurde sichergestellt, dass die gefundenen Effekte auch wirklich auf die eingenommene Rolle zurückzuführen sind.

Diese Paare durften/mussten nun miteinander in den zugewiesenen Rollen “spielen”, unterbrochen von einigen psychologischen Tests und Entnahmen von Speichelproben und  beobachtet von Wissenschaftle*innen (jeweils ein/r pro Paar), die zuvor mit BDSM-Pornos das Beobachten geübt hatten. All das fand an einem Abend an einem Ort statt, der mit vielen Zimmern und einem Kühlschrank für die Speichelproben ausgerüstet war (hier der Artikel in voller Länge) und muss – wenn ich mir das so vorstelle – für alle Beteiligten ein skurriler bis aufregender Spaß gewesen sein (ich möchte Sexualforscherin werden- sagte ich das bereits?). Was waren die Ergebnisse? Im Gegensatz zum “Seelentanz” schienen hier nur die passiven Personen “transiente Hypofrontalität”, also Subspace, zu erleben, während sich bei beiden Personengruppen Anzeichen für Flow fanden. Beide zeigten außerdem verminderten psychologischen Stress und verminderte negative Emotionen, sowie sexuelle Erregung – was jetzt nicht wirklich verwunderlich ist.

Wir wissen nun also, dass Cortisol eine wichtige Rolle spielt, dass BDSM-Praktiken zu Flow, emotionaler Bindung, reduziertem psychologischen Stress und sexueller Erregung führen können- und dass zumindest die Subs in einen veränderten Bewusstseinszustand geraten können, der sich dadurch kennzeichnen lässt, dass höhere kognitive Funktionen heruntergefahren werden und sich ein Gefühl des Einsseins und der Entspannung einstellt – ein Gefühl des Fliegens. Was wir nicht wissen: welche Rolle Adrenalin und Endorphine spielen, ob dieser Zustand wirklich der Hypnose gleicht, ob es vielleicht sogar unterschiedliche Formen von Subspace gibt und was das alles wirklich mit Sex zu tun hat.

Die Wissenschaft ist dem Subspace also auf der Spur, doch noch sind viele  Fragen offen und ich bin gespannt, in welche Richtung sich hier die Forschung weiterbewegt. Welche Erklärungsmodelle für Subspace findet Ihr überzeugend? Kennt Ihr vielleicht sogar weitere Studien dazu? Ich bin für Hinweise sehr dankbar und würde mich über eine Diskussion in den Kommentaren freuen!

 

 

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